Vinyl-Klassiker Mittwoch by Marcel Peithmann



Marcel Peithmann ist seit seiner Jugend tief in der Musikszene verwurzelt. Er spielte in Bands, legte jahrelang auf, moderierte eine fünfjährige Radiosendung und schrieb für Zeitungen sowie Fanzines über Musik. Heute teilt er seine Leidenschaft in monatlichen Mixen: TWSH! (The Weekend Starts Here!) , Instagram: @twsh09


Carter USM – 30 Something (Rough Trade, 1991)

Irgendwann im Laufe des Jahres 1991 besuchte ich meine Großmutter in Aachen. Sie hatte sich damals bereits damit abgefunden, dass das mit meiner Musikleidenschaft keine Phase war. Deshalb empfahl sie mir den Plattenladen „TamTam“ und drückte mir zusätzlich einen Schein in die Hand. Woher sie von dessen Existenz wusste, habe ich nie gefragt.

Dank eines fotografischen Gedächtnisses habe ich nicht nur das Innere des Ladens, sondern auch das zu Werbezwecken aufgehängte „30 Something“-Longsleeve noch sehr klar vor Augen. Die Werbung griff: Auf die von mir gestellte Frage nach der Band dieses Namens wies mich der Verkäufer schmunzelnd darauf hin, dass das der Albumtitel sei und die Band „Carter USM“ heiße.

Er startete das Album auf einem der zum Anhören bereitstehenden Plattenspieler und ich war sofort begeistert. Mit meinen 16 Jahren konnte ich noch nicht verstehen, wie groß die Toleranz meiner Großmutter wirklich war, denn auch sie musste das Album die nächsten Tage auf Schleife hören.

Vorher hatten es bereits die Happy Mondays bewiesen, nun lag ein weiteres Beispiel dafür vor, wie Gitarre und elektronische Musik perfekt fusionieren können. Der Titel „30 Something“ verdient besondere Erwähnung, denn 30 war damals unglaublich weit entfernt, in der Empfindung ein nahezu biblisches Alter. Aus heutiger Sicht lustig.

Habe Carter dann in den 90ern mehrmals live gesehen. Bei einem Konzert leerte Jim Bob in Rekordzeit eine Flasche Rotwein, welche offensichtlich nicht die erste war. Den zweiten Teil des Auftritts musste er im Sitzen absolvieren. Was man sich so alles merkt. Auch die „You fat bastard!“-Rufe der zu jedem Auftritt zahlreich erschienenen Briten sind noch sehr präsent.

Die Band kreuzte meinen Weg in späteren Jahren wiederholt. Bands wie The Streets oder die Sleaford Mods beziehen sich ganz offensichtlich auf sie. Das ist auch der Grund, warum ich die Begeisterung für diese Bands zwar nachvollziehen, aber in dem Umfang nicht teilen kann.

Wahrscheinlich auch ein Phänomen des Älterwerdens: Das Gefühl, dass es musikalisch alles schon einmal besser gab. Ohne grundsätzlich Nostalgie zuzuneigen wünsche ich mir manchmal dieses rauschartige Gefühl, welches das erste Vernehmen von bisher Ungehörtem auslöst, zurück.

Ja, 1991 erschien unter anderem auch „Loveless“, der Klassiker von My Bloody Valentine, aber für mich ist „30 Something“ die prägende musikalische Erinnerung. Hätte ich von den Abschiedskonzerten 2014 in der Londoner Brixton Academy gewusst, wäre ich hingefahren. But we’ll always have Aachen.

Zur Feier unseres zweiten Gastbeitrags haben wir jeweils einen Song aus all unseren eigenen Vinyl-Klassiker-Mittwochen sowie aus den beiden Gastbeiträgen in unsere "Vinyl-Klassiker Mittwoch" Playlist gepackt. Diese wird ab jetzt bei jedem neuen Beitrag fortgesetzt. Viel Spaß damit!
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